Stell dir einmal vor, du hast nach über einem Jahr wieder ein Entwicklungsgespräch im Kindergarten deines Kindes und du darfst dir folgende Sätze, direkt zu Beginn, anhören:

Dein Kind ist aggressiv.
Dein Kind ist nicht empathisch.
Dein Kind ist nicht lieb.
Dein Kind macht anderen Kindern Angst.
Dein Kind muss funktionieren.

Was machen diese Sätze mit dir als Bezugsperson?

• Du fühlst dich sprachlos?
• Du ringst nach deiner Fassung
• Du bist geschockt?
• Du kannst es nicht nachvollziehen?

Genauso ging es mir auch.
Mir haben die Worte gefehlt.

Nach der Nachfrage der Erzieherin, ob ich Fragen hätte, äußerte ich, dass mir der positive Blick fehlt!

Die Erklärungsversuche

Die Wut

„Naja, er ist ja nicht immer so. Wenn er wütend ist stampft er mit dem Fuß auf den Boden, ballt die Fäuste auf Hüfthöhe und ab und zu schreit er. Das hat einem 2-jährigen Kind Angst gemacht. Darauf muss er Rücksicht nehmen.
Denn schließlich ist er dort nicht alleine und Regeln müssten sein. Und dann gibt es ja noch ein Mädchen, welche sich nicht in die Bauecke traut, wenn ihr Sohn drin ist.“
Auf meine Nachfrage, warum sich das Mädchen nicht traut und wovor sie genau Angst hat bekam ich keine Antwort.
Wut ist ein Gefühl, welches genauso eine Daseinsberechtigung hat wie jedes andere Gefühl auch.
Erzieher dürfen Kinder, welche Angst haben, in solchen Situationen begleiten, genauso wie Kinder, die wütend sind.
Wenn sie gut gelaunt sind ist es natürlich schöner und angenehmer. (Ironie)
Mit Wut ist man überfordert, wenn man als Kind mit seiner Wut weder angenommen noch in dieser begleitet wurde; im schlimmsten Fall sogar in sein Zimmer geschickt wurde, mit den Worten: wenn du wieder lieb bist, darfst du wieder rauskommen.
Was ist lieb?
Wer beurteilt dieses?
Die Wut über Stampfen aus dem Körper raus zu lassen ist übrigens eine Strategie um mit Wut umzugehen.
Weitere Strategien findest du in folgendem Artikel: Wut bei Kindern.

Denn wenn ein Kind im Alter von einem Jahr durch Schreien und Weinen auf sich und seine elementaren Grundbedürfnisse aufmerksam macht, schauen wir genau hin.
Um bedürfnisorientiert handeln zu können, versuchen wir, die Signale des Kindes zu verstehen. Tun wir dieses in dem Alter nicht, ist das Baby nicht überlebensfähig.

Kinder müssen also nicht kompetent „gemacht“ werden.
Sie SIND kompetent.
Sie sind kompetent darin, sich mitzuteilen und in Beziehung zu gehen.

Warum glauben wir also, dass dieses „Grundprinzip“ außer Kraft gesetzt wird, wenn 5-jährige Menschen im Kindergarten herumbrüllen?

Ich persönlich glaube nicht an das Märchen von den trotzigen und tyrannischen Kindern.

Jedes (auffällige) Verhalten weist darauf hin, dass derjenige, der sich in einer bestimmten Weise verhält, etwas braucht.
Dass manche Verhaltensweisen insofern inakzeptabel sind, als dass sie die Grenzen anderer Menschen massiv verletzen, sollte klar und eigentlich nicht erwähnenswert sein.
Allerdings müssen wir auch in den pädagogischen Einrichtungen, so wie Kindergärten, lernen, die jedem Verhalten zugrundeliegenden Bedürfnisse anzuerkennen und ernst zu nehmen.
Solange wir also meinen, dass „die Lösung“ einer schwierigen Situation darin bestehen könnte, das auffällige, unerwünschte, grenzüberschreitende Verhalten junger Menschen über Dressur, Sanktionen oder Lob zu steuern, werden wir die Probleme derer, die sich über ihr Verhalten mitzuteilen versuchen, verstärken.

Das Ausmalbild

„Und dann hatten wir noch einen Imker mit einer Bienenwabe da und die Kinder haben anschließend die Aufgabe gehabt ein Ausmalbild von einer Biene ordentlich, und nicht über die Linien, also schön auszumalen. Ihr Sohn hat quer über die Linien gemalt – ich, als Erzieherin, muss jetzt also beurteilen, dass er dieses nicht kann.“

Ich bin ja selbst Erzieherin in einem Kindergarten und kann mir nicht erklären, welchen Sinn es hat, ein Ausmalbild „schön“ auszumalen.
Laut Erzieherin ist dieses wichtig für den Einschulungstest für die Grundschule und dafür sich anzupassen, sich an die Regeln zu halten. Und da er ja in einem ¾ in die Schule geht, müssten sie jetzt schon mal anfangen, dass er funktionieren muss. Schließlich ist er ja ein Vorschulkind.

Mir hat es echt die Sprache verschlagen. (Kommt bei mir übrigens sehr selten vor)

Es ging also nur darum, dass er funktionieren muss!!!

Warum müssen Kinder funktionieren?

Es ist wichtig, denn es gibt ja Regeln.
Was haben denn jetzt Regeln damit zu tun, dass er (und übrigens ich auch) den Sinn eines Ausmalbildes nicht erkennt?

Ach ja, am Tag nach dem Entwicklungsgespräch kam mein Sohn mit folgenden Zeichnungen nach Hause: falls ihr es nicht erkennt: das ist ein Schwimmbad

ein Schwimmbad

Die Grundlagen einer Kita

Bild vom Kind

Ich wünsche mir ein wertfreies und wertschätzendes Bild vom Kind.
Dieses beinhaltet für mich, dass jedes Kind einen inneren Bauplan besitzt, nach dem es sich entwickelt. Es ist der Baumeister seines eigenen Ichs und Akteur seines eigenen Lebens.
Das Kind hat ein Recht auf Selbstständigkeit.
Vor allem wünsche ich mir positive Formulierungen vom Kind, einen positiven Blick!

Die Erzieherin

• hat Achtung vor der Persönlichkeit des Kindes und darf es bei der Persönlichkeitsentwicklung begleiten.
• Benötigt Geduld, um den jeweiligen Entwicklungsstand jedes einzelnen Kindes zu wissen, so dass sie diese individuell begleiten kann
• Sieht sich als Helferin und Dienerin zur Entwicklung selbstständiger Persönlichkeiten
• Hat die Aufgabe die vorbereitete Umgebung (den Raum) reizvoll zu gestalten
• Strahlt durch ihr Verhalten Ruhe aus
• Sorgt für eine Atmosphäre, in der sich sowohl die Fähigkeit zum Aufbau positiver Beziehungen als auch zum konzentrierten Spielen entwickeln kann
• Damit der erzieherische Auftrag zum Selbstbau der kindlichen Persönlichkeit gelingen kann, ist eine intensive Zusammenarbeit von Elternhaus und Institutionen / Kooperationspartner von großer Bedeutung
Elternarbeit ist das Fundament ihrer Arbeit

Die Beobachtung

Die Beobachtung ist der Schlüssel der Erwachsenen zur Welt der Kinder.
Sie ist die Kunst das Verhalten der Kinder zu „lesen“ und adäquate Angebote zu gestalten.
Werfen wir einmal einen Blick in unsere Gesellschaft: nur, wenn wir aktiv sind, wenn wir uns mit etwas beschäftigen, gilt dieses als tugendhaft.
Nichts-zu-tun gilt als Faulheit.
Und Faulheit wird nicht geschätzt.
Aber ist es wirklich Faulheit?
Können wir, wenn wir aktiv sind, aufmerksam sein?

Habt ihr schon einmal versucht euch im Kinderzimmer eures Kindes aufzuhalten, ohne euch mit eurem Kind zu beschäftigen, ihm etwas beizubringen oder euch um dieses zu kümmern?
Einfach nur da zu sitzen und zu beobachten.
Denn umso weniger du dein Kind unterbrichst, umso leichter entwickelt dein Kind eine lange Aufmerksamkeitsspanne.
Wenn dein Kind das Gefühl hat, dass für ihn gut gesorgt ist, wenn es in dem Moment tun kann, woran es gerade interessiert ist, und es nicht unterbrochen wird, dann hat es eine längere Aufmerksamkeitsspanne, als du erwartest.

Liebe Erzieher, liebe Eltern, liebe Menschen,

stellt euch einmal vor ihr würdet in einem Gespräch mit dem Satz: „Dein Kind ist aggressiv!“ konfrontiert werden.
Wie würdest es euch gehen?
Was hättet ihr für Gedanken?

Und wie würde es euch gehen, wenn ihr in einem Gespräch sitzen würdet und folgenden Satz hören dürft: „Dein Kind ist charakterstark!“
Was macht dieser Satz mit dir?

Refraimimgliste

 

 

 

10 Antworten zu „Kinder müssen funktionieren”.

  1. Liebe Maria,
    mir fehlen hier echt die Worte… aber so ist das leider in der heutigen Zeit, alle Kinder sollen möglichst früh fremdbetreut werden, aber dass die Erzieher adequat ausgebildet und bezahlt werden, darauf wird keinen Wert gelegt. Auch unser Kiga im Dorf ist im Prinzip nur eine große Verwahrstation. Die Kinder machen das ganze Jahr mehr oder weniger „Gruppenfindung“ draußen auf dem Spielplatz, die Erzieherinnen machen „Gruppenfindung“ auf den Bänken. Hat für mich immer was von Freigang im Jugendknast. Änderungsvorschläge werden kaum umgesetzt, allenfalls, wenn es für die Erzieherinnen nicht nach „Mehrarbeit riecht“. Ich fand es schon schräg dass, entgegen der allgemeinen Idee, dass in der Familie das gemeinsame Essen eine wichtige Sache ist, bei uns das gemeinsame Frühstück nur noch einmal im Monat stattfindet. Und dass man zum Geburtstag keinen Kuchen mehr bringen darf war schon vor Corona so. Ich habe eine freidenkende Tochter in der zweiten Klasse, und wir kämpfen im Moment damit, dass sie verträumt statt fleißig und verpeilt statt funktional ist. Macht uns allen keinen Spaß 😦
    LG,
    Simone

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  2. PS: die wenigsten haben ein „Normkind“, ich hab auch kein einziges, und das ist gut so! Meine Kinder sind genauso richtig, wie sie sind, mit allen Ecken und Kanten. Ja-Sager gibt es schon genug auf dieser Welt, meine Kinder werden Querdenker, sie verändern die Welt anstatt sie abzunicken!

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  3. […] Denn Kuscheln und Trösten wurde für die Entwicklung von Kindern als negativ angesehen, da es die Kinder verwöhnen würde. Ausgenommen von diesem Berührungsentzug waren Ohrfeigen, Hinternversohlen und andere […]

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  4. […] Denn Kuscheln und Trösten wurde für die Entwicklung von Kindern als negativ angesehen, da es die Kinder verwöhnen würde. Ausgenommen von diesem Berührungsentzug waren Ohrfeigen, Hinternversohlen und andere […]

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  5. […] anzupassen, indem Du die Zeit Tag für Tag ca. 10-15 Minuten nach hinten verschiebst. Für die Kita kann das bedeuten, dass die Kinder früher Hunger bekommen und früher müde werden. Plan das mit […]

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  6. […] reichen würde, kommen noch Elterngespräche im Kindergarten hinzu. Und leider auch Erzieher, die Kinder miteinander vergleichen. Und das unter den Kindern bzw. vor den Kindern. Aber auch vor den Eltern. Aus eigener Erfahrung […]

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  7. […] Dokumentation, Bildung – wie soll das […]

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  8. […] ist gleichzusetzen mit Verantwortung?! Pädagogische Beziehungen sind immer durch „ungleiche“ Machtverhältnisse gekennzeichnet. In allen pädagogischen Betreuungsformen, wie zum Beispiel in […]

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  9. […] Jahre durfte ich dich täglich in deinem Leben begleiten.3,5 Jahre Kindergarten folgten…Und nun bist du bald ein SchulkindIch weiß gar nicht für wen der heutige Abend […]

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