Die Monate des Wartens und deiner Schwangerschaft sind vorüber und du kannst dein Baby im Arm halten. Was ein bewegender Moment.
Jetzt beginnt die Kennenlern- und Familienzeit! Mit jedem neuen Tag lernst du und dein Kind euch besser kennen.
Die Bedürfnisse deines Babys stehen nun an erster Stelle- und bestimmen dein Denken, Fühlen, Handeln: euren Tagesablauf.
Von Geburt an sind Neugeborene mit einem umfassenden Verhaltensrepertoire zum sozialen Austausch und einer enormen Lernkapazität ausgestattet, für dessen Entfaltung sie jedoch eine sichere Bindung benötigen.
Im ersten von sieben Blogartikeln rund um die altersbezogenen Entwicklungsverläufe bei Kindern zwischen dem ersten und sechsten Lebensjahr ging es um die kindliche Entwicklung von der Geburt bis zum Schuleintritt. In diesem, dem zweiten Teil, geht es um das erste Lebensjahr.

Theorien der psychosozialen Entwicklung
die Orale Phase nach Sigmund Freud
In der ersten Entwicklungsstufe richtet sich das Hauptinteresse des Babys auf den Mundbereich. Das Erleben des Babys ist von den Empfindungen der Lippen, der Mundhöhle und der Zunge bestimmt. Alles, was mit Saugen, Lutschen, in den Mund nehmen zu tun hat, wird als lustvoll erlebt und deshalb ständig wiederholt.
Die Mutter ist im ersten Lebensjahr das ausschließliche und wichtigste „Liebesobjekt“ für das Baby. Es ist abhängig von ihr abhängig, sie ist der Anker für Sicherheit und Geborgenheit, für ein angemessenes Gleichgewicht von Reizzufuhr und Überforderung. Ihre zeitweilige Abwesenheit wird als dramatischer Entzug (Frustration) erlebt, der eine beständige Angst vor Zuwendungsverlust in den nächsten Jahren auslösen kann.
Ein Baby unter einem Jahr kann nicht warten gestillt, gewärmt, behütet zu werden – kurz: es kann nicht warten bis seine Bedürfnisse befriedigt sind. Sein Spannungsbogen muss erst entwickeln.
Durch die fortgesetzte Erfahrung kleinerer und größerer Frustrationen entwickelt sich gegen Ende des ersten Lebensjahres im Kind eine zweite Persönlichkeitsstruktur neben dem Es: das Ich bildet sich heraus. Das Ich ist eine seelische Instanz, deren Aufgabe die Anpassung an die Realität durch „Vernunft und Verstand“ ist. Es entwickelt sich, wenn das Kind beginnt, sich als von den anderen verschieden wahrzunehmen – als Mensch immer öfter, dass ungehemmte Bedürfnisbefriedigung nicht möglich ist bzw. mit Zuwendungsverlust bestraft wird. Also bemüht es sich, die Forderungen des „Es“ entsprechend den Forderungen seiner Bezugspersonen zu zügeln. Es möchte deren Regeln nachkommen und sich so verhalten, wie es in der sozialen Wirklichkeit verlangt wird.
„Urvertrauen vs. Misstrauen“ nach Erik Erikson
Im ersten Jahr steht die Entwicklung des Urvertrauens im Vordergrund. Auf der Basis einer verlässlichen, kontinuierlichen Mutterbindung erwirbt das Kind grundlegendes Vertrauen in deren sicheres Vorhandensein. Erst daraus kann ein begründetes Vertrauen in die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit anderer Menschen als Basis eigener Bindungsfähigkeit entstehen. Gelingt diese nicht, entsteht in dem Kind ein grundsätzliches Misstrauen, eine Skepsis gegenüber Beziehungen.
Das Schreien des Babys
Was Eltern am meisten berührt und worauf sie in der Regel sofort und beunruhigt mit Fürsorge und Aufmerksamkeit reagieren, ist das Schreien: 2 h täglich sind kein Grund zur Besorgnis, besonders in den späten Nachmittagsstunden. Sehr schnell lernt das Baby mit drei verschiedenen Formen des Schreiens seine Umgebung zu alarmieren und die, für ihn passenden, Reaktionen zu fordern: Hungerschrei, Schmerz- / Kälteschrei und Schreien nach Einsamkeit oder Überreizung. Sie alle drücken Unbehagen aus und die Bezugspersonen lernen über Versuch und Irrtum die richtigen Möglichkeiten, das Baby zu trösten. Sehr junge Babys lassen sich durch mäßig starke, wiederholte und kontinuierliche Stimulation beruhigen, z. B. durch das Herumtragen in einer Trage / im Tragetuch.

Eine ruhige Stimme, taktile Impulse und rhythmisches Wiegen vermitteln eine vertraute Kombination von Wahrnehmungsreizen, die das Baby aus seiner vorgeburtlichen Zeit kennt.
Auch das Stillen ist ein wirksames Beruhigungsmittel.
Die Entwicklung der Sinne
Der Mensch verfügt über 7 Sinnessysteme. Sie werden in Nah- und Fernsinn unterteilt. Bei den Nahsinnen wirkt der Reiz direkt auf den Körper, z. B. Berührung auf der Haut. Zu ihnen zählen der Tastsinn, der Geschmackssinn, der Lage- und Bewegungssinn und der Gleichgewichtssinn.
Die Fernsinne nehmen Reize wahr, die sich vom Körper entfernt befinden, z. B. das Sehen einer Bezugsperson. Zu den Fernsinnen zählen der Sehsinn, der Hörsinn und der Geruchssinn.
Bei der Geburt sind alle Sinne bereits äußerst leistungsfähig. Über Sinnesreize werden neue Erfahrungen gesammelt und gespeichert und damit eine Basis geschaffen für die Einordnung und Bewertung weiterer Erfahrungen. Dem Kind gelingt zunehmend die Auswahl und Verarbeitung der Reize schneller und gezielter.
Neugeborene lassen sich durch die Stimulation mit vertrauten Sinneseindrücken beruhigen (Geruch, Hautkontakt, das Gefühl des Gehaltenwerdens).
Der Tastsinn

Der Tastsinn ist schon im Mutterleib entwickelt und funktionsfähig. Infolgedessen reagieren auch Neugeborene auf Berührungen. Sie verfügen auch über die Fähigkeit, Temperaturen wahrzunehmen. Dagegen ist die Schmerzempfindung in den ersten Lebenstagen nur schwach entwickelt.
Der Geschmackssinn

Der Geschmackssinn ist von Geburt an gut ausgebildet.
Der Lage- und Bewegungssinn
Der Lage- und Bewegungssinn nimmt Veränderungen der Muskelspannung auf.
Der Mensch weiß, ohne hinzusehen, wo sic seine Körperteile befinden. Zudem weiß er, ob und wie sie sich bewegen.
Durch Erfahrungen mit Gleichgewichts- und Tastsinn kann ein genaues Bild über den eigenen Körper entstehen und allmählich ein gutes Körpergefühl aufgebaut werden.
Tastsinn, Gleichgewichtssinn und Lage- und Bewegungssinn gelten als Basissinne, d.h. alle anderen Wahrnehmungsprozesse bauen auf diese auf. Funktionieren sie nicht ausreichend, sind auch die anderen Wahrnehmungsbereiche beeinträchtigt und damit die gesamte Entwicklung.
Der Gleichgewichtssinn
Der Gleichgewichtssinn wird im zweiten und dritten Schwangerschaftsmonat angelegt und ist bei normal verlaufender Schwangerschaft im sechsten Monat ausgereift.
Der Sehsinn
Je nach Konstitution, Gesundheitszustand und Temperament ist jedes Kind sofort nach der Geburt bereit, sich auf die Gegebenheiten seiner neuen Welt einzulassen, sie zu erkunden und darin zu lernen. Alsbald reagiert das Kind aktiv auf andere Menschen, insbesondere auf die Mutter, die ihm seit Monaten tief vertraut ist.
Das Neugeborene unterscheidet bereits hell und dunkel, sieht aber noch keine Farben. Weil Neugeborene wahrscheinlich nur in der Distanz von 20 -40 cm scharf sehen, könnten sie die Mutter beim Stillen genauer als alles andere wahrnehmen, erkennen und bald von anderen unterscheiden: Babys fangen kurz nach der Geburt an, ihre Umgebung mit Blicken zu erkunden und reagieren dabei besonders auf kontrastreiche und gesichtsähnliche Formationen. Die Umgebung erscheint zunächst unscharf, weil die Zapfen auf der Netzhaut des Neugeborenen bis zum Ende des ersten Halbjahres noch anders arbeiten als die der Erwachsenen (Reizselektion). Neugeborene können mit Blicken und Kopfdrehen interessante Objekte, besonders Gesichter, kurzzeitig fixieren.
Mit circa einem halben Jahr sind alle wichtigen Sehfähigkeiten entwickelt, wie Tiefsehen, Farben sehen, scharfes Sehen und gezielte Augenbewegung. Mit einem Jahr ist die Feinabstimmung abgeschlossen, so dass die Kinder wie Erwachsene sehen.
Der Hörsinn
Das Gehör funktioniert bereits einige Monate vor der Geburt und ist beim Neugeborenen äußerst leistungsfähig. Sie hören gut im Tonhöhenbereich der menschlichen Stimme und erkennen und bevorzugen die Stimme der Mutter.
Der Geruchssinn
Sie unterscheiden nach sehr kurzer Zeit verschiedene Gerüche und schon nach einer Woche den Hautgeruch der Mutter.
Die Entwicklung des sozialen Verhaltens
Der Anblick der Bezugsperson, begleitet von ihrer Stimme, von Mimik und Gestik, ist der Ausgangspunkt für die Entwicklung von Kommunikation und Interaktion. Das Baby erlebt sich selbst als Auslöser von Reaktionen beim Gegenüber, es erfährt sich als selbstwirksam. Wenn es hört, dass seine eigenen Laute „ankommen“ und gespiegelt werden, antwortet es durch zunächst unbewusstes Imitieren.
Nicht nur die Stimme, sondern auch komplizierte Gesten, wie zum Beispiel das Herausstrecken der Zunge oder das Hochziehen der Augenbrauen beantwortet ein kleines Baby durch unbewusstes Nachmachen. Damit motiviert es die Großen, intuitiv und spielerisch zu antworten.
Das wechselseitige Reagieren ist die Grundlage für den weiteren Beziehungsaufbau.
Weil die Erwachsenen spielerisch Neues ausprobieren und das Baby darauf einsteigt, erweitert sich sein Repertoire der zur Verfügung stehenden Gebärden.

Im Alter von 6 Wochen zeigt sich das erste Lächeln, allerdings zuerst als „Lachmuskelerprobung“. Weil es darauf meist freudige Reaktionen der Bezugspersonen erntet, wird es das Lächeln noch einmal wiederholen. – auch dann, wenn es sich nicht um Mama oder Papa handelt.
So lächelt das Baby im 3. Monat jedem entgegen, der es ansieht.
Im 4. Lebensmonat wird aus dem Antwort – Lächeln ein echter Ausdruck von Freude, den der ganze Körper ausdrückt. Durch die Reaktion des kompletten Körpers des Babys motiviert es andere Menschen sich ihm zuzuwenden. Es entsteht ein Muster von Beziehungen, in dem jeder Interaktionspartner eine spezielle Rolle einnimmt.
Sehr bald ist das Baby auf den wechselseitigen Austausch angewiesen.
Auf ausgebliebene Kontaktversuche reagiert es mit Irritation und bemüht sich die unterbrochene Kommunikation durch positive Annäherungsversuche, Rückzugs- oder Protestverhalten wiederherzustellen.
Reagieren Eltern auf die Signale ihres Babys nicht oder mit negativen Gefühlen, lernt schon ein sehr junges Baby, sich vor der Ignoranz ihrer Eltern zu schützen: durch Abwehrverhalten, durch Schreien oder Passivität in der Kommunikation.
Die Fähigkeit, unterschiedliche Gefühle des Gegenübers zu verstehen, zeigt sich im 5. Monat: das Baby wirkt ratlos und ängstlich, wenn der Tonfall sich ändert und kann Nuancen der Stimmfarbe unterscheiden.
Im 6. Monat (bis zum 8. Monat die sogenannte Fremdelphase) lächeln Babys nicht mehr jeden an, der sich ihnen freundlich nähert. Sie zeigen, dass sie zwischen vertrauten und fremden Personen unterscheiden können und bevorzugen deutlich die vertrauten Bezugspersonen. Mit ihnen beginnt auch einige Wochen später das Versteckspiel „verschwunden – wieder da“ mit den Händen vor den Augen.

Im 8. bis 9. Monat ist nicht nur das Gesicht des Gegenübers interessant, sondern auch das eigene Gesicht. Im Spiegel nehmen die Babys Kontakt mit sich selbst auf, lächeln sich an, imitieren sich selbst.
Es kann seine Neugier gemeinsam mit seiner Bezugsperson auf Objekte richten. Somit ist die Grundlage für gemeinsames Spiel geschaffen.
Im 10. Monat zeigt sich das Interesse des Babys an anderen Menschen daran, dass es soziale Gesten begeistert nachahmt wie „Tschüss“.
In diesem Alter wird auch deutlich, dass das Baby empfänglich ist für soziale Verstärker wie Zuspruch und Anerkennung.
Am Ende des ersten Lebensjahres ist das Verständnis für soziale Beziehungen so weit ausgeprägt, dass Kinder erkennen, was eine vertraute Person vorhat bzw. möchte (Bedürfnisse). Allerdings können sie sich noch nicht in andere hineinversetzen; dazu braucht es noch mehrere Jahre.
Die Sprachentwicklung
Der Säugling hat eine besondere Aufmerksamkeit dem Gesicht seiner Mutter gegenüber. Dieses vermittelt ihm Emotionen, die mit Sprachlauten verbunden sind:
Mütterliche Mimik und akustische Wahrnehmungen bereiten den Säugling auf den Spracherwerb vor. Denn erst eine gemeinsame Gefühlsbeziehung veranlasst den Säugling, auf den Sprechenden zu achten.
Um dann aber auch Sprachlaute produzieren zu können, muss eine Vielzahl von Muskeln (Steuerung von Lippen und Zunge) aktiviert und zeitlich genau koordiniert werden.
Im Alter von 6 bis 7 Monaten beginnen Babys in der sogenannten Lallphase spielerisch Sprachlaute zu üben und zu experimentieren.
Zu diesem Zeitpunkt ist das Sprachverarbeitungszentrum schon sehr aktiv. Es filtert aus allem, was dein Kind hört, die für die Muttersprache relevanten Charakteristika heraus und identifiziert aus dem ungegliederten Strom der menschlichen Rede sprachliche Einheiten als Wörter.
Am Ende des ersten Lebensjahres kann dein Baby die Lall-Laute seiner Muttersprache.
Die motorische Entwicklung
Nach der Geburt liegt dein Baby auf dem Rücken oder auf dem Bauch; seitlich jeweils der Kopf liegend. Dieses hebt es zunächst nur so weit, dass es ihn auf die andere Seite legen kann.
Mit 3 Monaten circa kann dein Kind seinen Kopf so weit anheben, dass es sich in Bauchlage umschauen kann. Dabei stützt es sich meist auf seine Ellbogen oder seine Hände. Auch hält es in diesem Alter seinen Kopf schon in der Körpermitte, kann seine Arme beugen und lernt das, was in sein Gesichtsfeld kommt, kennen. Gleichzeitig beginnen die ersten Greifversuche, sowohl mit den Händen als auch mit den Füßen.

Zwischen dem 5. und 7. Lebensmonat beginnt die selbstständige Bewegungsentwicklung, indem sich das Kind zur Seite dreht.
Darauf aufbauend bildet sich ein breites Spektrum an motorischen Möglichkeiten aus: Wälzen, Robben, Wippen, Kriechen bis zum Krabbeln auf Knien und Händen.
Sich selbstständig aufzusetzen, sich hochzuziehen und aus dem typischen Kniestand aufzustehen lernt das Kind etwas später, um dann im zweiten Lebensjahr frei aufstehen und gehen zu können.
Robben oder kriechen beispielsweise manche Kinder nie, setzen sich jedoch früh auf und rutschen auf dem Hosenboden vorwärts und rückwärts. Dieses haben fast die Hälfte der Eltern auch gemacht. Auch für den Zeitpunkt des Laufen lernens spielt die Genetik eine wichtige Rolle.

Im dritten Teil meiner Blogserie rund um die altersbezogenen Entwicklungsverläufe bei Kindern zwischen dem ersten und sechsten Lebensjahr geht es um das zweite Lebensjahr.
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