Das fünfte Lebensjahr ist kein lauter Umbruch, sondern ein innerer Reifungsschritt.
Viele Kinder wirken in dieser Phase „gewachsen“: emotional stabiler, sprachlich sicherer, körperlich kompetenter.
Doch unter der Oberfläche arbeitet es gewaltig: Das Selbstkonzept wird differenzierter, das soziale Miteinander komplexer, und erste Gedanken über Regeln, Gerechtigkeit und Zugehörigkeit treten in den Vordergrund.
Der Übergang vom Kindergartenkind zum zukünftigen Schulkind beginnt und braucht sensible, entwicklungsorientierte Begleitung.
Kognitive Entwicklung – Wenn Denken Tiefe bekommt
Kinder im fünften Lebensjahr entwickeln ein immer abstrakteres und strukturierteres Denken.
Ihre Fähigkeit zur Problemlösung wächst, sie erkennen Regeln hinter Abläufen und stellen gezielte „Warum“-Fragen.
Nicht mehr jedoch nur aus Neugier, sondern aus echtem Erkenntnisinteresse.
- Kausale und zeitliche Zusammenhänge werden sicherer verstanden („Erst die Jacke, dann hinausgehen, sonst friere ich“)
- Sie können Ursache und Wirkung differenzierter erfassen
- Planvolles Handeln entwickelt sich weiter: Kinder beginnen z. B. beim Malen oder Bauen mit einer Idee und führen sie über mehrere Schritte durch
Diese Kinder brauchen keine „Vorschulprogramme“, sondern alltagsintegrierte Denk- und Lernanlässe, die herausfordern, aber nicht überfordern.
Sprachentwicklung: die Sprache wird Werkzeug und Spiegel
Die sprachlichen Fähigkeiten sind im fünften Lebensjahr meist so weit entwickelt, dass Kinder sich differenziert ausdrücken, erzählen, argumentieren und reflektieren können.
- Sie verwenden verbindende Konjunktionen („weil“, „aber“, „obwohl“) korrekt
- Fragen, erzählen, erklären: Sprache wird zur Brücke zur Welt
- Sprachliches Rollenspiel gewinnt an Komplexität.
Kinder „sprechen“ sich in Rollen hinein und zeigen dabei viel Fantasie
Gleichzeitig wird Sprache zur sozialen Macht:
Wer sich gut ausdrücken kann, kann sich besser durchsetzen.
Hier braucht es pädagogisches Feingefühl, damit leise Kinder nicht untergehen.
Motorische Entwicklung: Kraft, Kontrolle, Körperbewusstsein
Grobmotorik
Kinder sind jetzt deutlich sicherer in der Bewegung.
Viele können:
- Auf einem Bein stehen oder hüpfen
- Sicher klettern und balancieren
- Bewegungsabläufe koordinieren (z. B. Ball werfen und fangen)
Bewegung wird zunehmend auch soziales Medium, z. B. beim Fangenspielen, Staffelläufen, Tanz.
Feinmotorik
- Malen, Zeichnen, Schneiden: wird zunehmend kontrollierter
- Schreibvorläuferfähigkeiten entwickeln sich (Linienführung, Muster, erste Buchstaben)
- Viele Kinder können jetzt selbstständig komplexe Handlungen durchführen (z. B. Schleifen binden)
Jetzt sind keine Schulübung gefragt, sondern Förderung durch Alltagshandlungen:
Basteln, Kochen, Knoten, Fädeln stärkt Feinmotorik nachhaltig und spielerisch.
Emotionale Entwicklung: Selbstwert, Selbstbeherrschung, Selbstvertrauen
Im fünften Lebensjahr nehmen Kinder sich selbst mit Stärken, Schwächen, Vorlieben und Gefühlen bewusster wahr.
Gleichzeitig wächst ihre Fähigkeit zur Emotionsregulation.
Viele Kinder können nun bewusst Strategien anwenden, um Wut, Angst oder Frust zu bewältigen („Ich atme tief“, „Ich geh kurz weg“).
- Selbstwert entsteht stärker aus eigenem Erleben („Ich habe das ganz alleine geschafft!“)
- Vergleich mit anderen beginnt sowohl in positiven („Ich bin gut im Malen“) als auch in negativen Formen („Ich kann das nicht so gut wie …“)
- Verletzlichkeit nimmt zu.
Denn mit wachsendem Selbstbild wächst auch das Bedürfnis nach Anerkennung
Was Kinder jetzt brauchen, sind Spiegelungen, jedoch keine Bewertung.
Erwachsene, die nicht mit Lob überhäufen oder kritisieren, sondern benennen, was sie wahrnehmen („Du hast lange durchgehalten, obwohl es schwer war“).
Soziale Entwicklung: Regeln, Rollen, Beziehungen
Die sozialen Kompetenzen werden im fünften Lebensjahr komplexer und bewusster.
Kinder erkennen immer besser, was in Gruppen funktioniert und was nicht.
Sie reflektieren Regeln, verhandeln Rollen und beginnen, ein echtes Gerechtigkeitsempfinden zu entwickeln.
- Gruppendynamiken werden intensiver:
Kinder schließen Freundschaften; aber auch aus - Fairness und Regelbewusstsein wachsen („Du hast zweimal gewürfelt, das ist nicht fair“)
- Perspektivübernahme nimmt zu.
Kinder können sich vorstellen, wie andere sich fühlen oder denken
Für pädagogische Fachkräfte bedeutet das Begleiten statt Eingreifen.
Kinder brauchen Raum, ihre sozialen Kompetenzen selbst zu erproben, aber auch Reflexion und Impulse, wenn Konflikte sich verfestigen.
Lebenswelt, Bindung und Schulvorbereitung: Übergänge sensibel gestalten
Das fünfte Lebensjahr ist oft das letzte volle Kitajahr: die Schule rückt näher.
Das bedeutet: Kinder spüren Veränderungen.
Sie werden „Vorschulkinder“, erleben neue Erwartungen und einen inneren Reifeprozess.
- Neugier auf Schule mischt sich mit Unsicherheiten („Bin ich groß genug?“)
- Rollenwechsel innerhalb der Kita (vom „Kleinen“ zum „Großen“) verändert Dynamiken
- Eltern und Fachkräfte sind oft hin- und hergerissen zwischen Loslassen und Fördern
Wichtig ist jetzt:
- Kein schulischer Druck,
sondern Förderung von Selbstständigkeit, Frustrationstoleranz und Lernfreude - Verlässliche Bindungen;
auch im Übergang - Rituale und Übergangsriten,
die das Kind stärken („Abschiedsfeier“, „Schulbesuch“, „Schatzkiste der Kita-Zeit“)
Das fünfte Lebensjahr: das Jahr des inneren Wachsens
Kinder im fünften Lebensjahr sind keine „Mini-Schüler*innen“.
Sie sind eigenständige Persönlichkeiten, die ihre Welt zunehmend bewusst gestalten und brauchen keine verschulten Angebote, sondern menschennahe Begleitung:
mit Raum zum Denken, Fühlen, Spielen, Scheitern und zum Wachsen.
Das fünfte Lebensjahr ist ein Fenster,
in dem das Kind, nicht nur das Kind war,
sondern gleichzeitig auch das Kind ist, das es werden will.
Wer genau hinschaut, erkennt:
Da entsteht gerade ein Mensch, der seine Welt zu verstehen beginnt!
Und dabei unsere liebevolle Aufmerksamkeit verdient!






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