„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“

Ein Sprichwort, das lange als Drohung missverstanden wurde.
Dabei ist es eine Einladung.
Denn was Kinder früh lernen, prägt nicht nur ihr Denken, sondern unsere gesamte Gesellschaft.
Der Bildungsauftrag des Kindergartens ist kein Beiwerk, kein Vorspiel zur Schule!
Er ist Ausgangspunkt für alles, was danach kommt.

Bildung beginnt nicht mit der Schulpflicht

Viele glauben noch immer, der „eigentliche“ Bildungsweg beginne mit der Einschulung.
Dabei ist längst wissenschaftlich belegt:
Die entscheidendsten Bildungsprozesse finden in den ersten sechs Lebensjahren statt.

Motorik, Sprache, soziales Verhalten, Selbstregulation, Empathie: all das wird nicht auf Arbeitsblättern gelernt, sondern in Beziehungen, im Spiel, in der Selbstwirksamkeit.
Der Kindergarten ist also kein „Betreuungsangebot“, er ist pädagogischer Herzschlag einer demokratischen Zukunft.

Der Bildungsauftrag des Kindergartens: was heißt das konkret?

Der Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungen ist in allen deutschen Bildungsplänen verankert.
Nicht als Schulvorbereitung im Miniaturformat, sondern als ganzheitlicher, kindzentrierter Auftrag.
Dieser umfasst u.a.:

  • Kognitive Bildung (Sprache, Mathematik, Weltwissen)
  • Soziale Bildung (Empathie, Konfliktfähigkeit, Gruppenverhalten)
  • Emotionale Bildung (Gefühlsregulation, Selbstbewusstsein)
  • Kulturelle und ästhetische Bildung (Kunst, Musik, kreative Ausdrucksformen)
  • Gesundheit und Bewegung
  • Werteorientierung & Demokratiebildung

Dabei gilt:
Nicht das Curriculum steht im Mittelpunkt, sondern das Kind.
Bildung passiert nicht linear, nicht standardisiert, sondern individuell.
In Resonanz mit der Umwelt und im eigenen Tempo.

Der Kindergarten als Gegenpol zur frühen Selektion

Schon in der Grundschule wird vorsortiert.
Oft entlang sozialer Herkunft, Sprache, Förderbedarf.
Das verletzt nicht nur Chancengleichheit!
Es widerspricht dem Grundgedanken von Bildung als Menschenrecht.

Kindergärten sind einer der letzten Orte im Bildungssystem, wo noch nicht aussortiert wird.

Deshalb tragen sie eine besondere Verantwortung:
Sie müssen Räume schaffen, in denen alle Kinder willkommen sind, ganz unabhängig von Herkunft, Entwicklungsstand oder Diagnose. Inklusive Pädagogik ist keine Sonderpädagogik!
Sie ist demokratische Haltung.

Bildungsauftrag und Chancengerechtigkeit

Die historische Idee hinter der Schulpflicht war, Bildung allen zugänglich zu machen.
Ganz unabhängig von Geschlecht, Klasse oder Herkunft.

Doch die Realität zeigt:
gerade die Schwächsten fallen immer noch durchs Raster.

Was bedeutet das für den Kindergarten?

  • Partizipation statt Paternalismus: Kinder haben ein Recht, gehört zu werden.
    Nicht nur im Morgenkreis, sondern auch in Alltagsentscheidungen.
  • Sprachförderung ohne Stigmatisierung: Sprache ist Schlüssel zur Welt.
    Jedoch nicht mit Arbeitsblättern, sondern durch Beziehung und echte Kommunikation.
  • Elternarbeit auf Augenhöhe: Familien sind Partner*innen, keine Adressaten von Erziehungsratschlägen.

Frühkindliche Bildung ist Wirtschaftsfaktor und Menschenrecht

Auch wirtschaftlich ist der Bildungsauftrag im Kindergarten nicht zu unterschätzen.
Studien wie die von James Heckman zeigen:
Jeder Euro, der in frühkindliche Bildung investiert wird, bringt später ein Vielfaches in Form von höherer Bildung, weniger Arbeitslosigkeit, besserer Gesundheit zurück.

Jedoch sind Kinder keine Humankapitalmaschinen.
Der Bildungsauftrag darf nie auf Verwertbarkeit reduziert werden.
Er dient der Entfaltung des Menschen.
Nicht seiner Nutzbarmachung.

Frühkindliche Bildung als Demokratiebildung

Ein besonders oft unterschätzter Aspekt des Bildungsauftrags:
Demokratie lernen beginnt nicht im Politikunterricht, sondern auf der Bauecke.
Kinder lernen dort, Bedürfnisse auszuhandeln, Regeln aufzustellen, Verantwortung zu übernehmen, Vielfalt auszuhalten.

Ein inklusiver, partizipativer Kindergarten ist der erste Ort gelebter Demokratie.
Und das ist kein Zufall.
Es ist politische Bildung im besten Sinne.

Gut gemeint ist jedoch nicht immer gut gemacht

Kindergärten wurden oft als „Vorschule light“ verstanden.
Das war gut gemeint.
Läuft jedoch zu oft auf Verschulung hinaus.
Lernen im Kindergarten ist kein Üben für später.
Es ist Leben im Hier und Jetzt.

Wenn die Schule später selektiert, sortiert und optimiert, braucht es umso mehr Kindergärten, die das Kind nicht defizitär, sondern ganzheitlich sehen.

Der Bildungsauftrag des Kindergartens ist keine Vorbereitung: er ist Grundlage

Frühkindliche Bildung ist kein Anhängsel des Schulsystems.
Sie ist die Wurzel, aus der alles wächst.
Wer dort beginnt, normiert zu denken, wird Vielfalt als Störung empfinden.
Wer dort beginnt, inklusiv zu denken, schafft eine Gesellschaft, in der alle dazugehören.

Inklusive, kindzentrierte Kindergärten sind keine Utopie.
Sie sind gelebte Demokratie!
Wir müssen aufhören, Bildung erst mit der Schulpflicht ernst zu nehmen.
Denn alles, was eine Gesellschaft prägt, Gerechtigkeit, Freiheit, Zusammenhalt, beginnt mit einem:
mit Bildung im frühesten Kindesalter.


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Eine Antwort zu „Bildungsauftrag im Kindergarten: Fundament einer demokratischen Gesellschaft”.

  1. […] aus einkommensarmen Familien besuchen seltener eine Kita, obwohl gerade dort frühkindliche Förderung entscheidend […]

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