Ich wünsche mir, dass es viele Menschen ermutigt, offen über das Thema Depression zu reden.

 

  1. Magst Du etwas zu deiner familiären Situation erzählen?

Gerne, ich habe zwei wundervolle Söhne und eine Enkelin. Bin 55 Jahre jung, schon über 20 Jahre verwitwet und lebe seit März 2017 auf einem Campingplatz an der Lahn mit  satter Natur um mich herum.

 

  1. Bevor Du über die Kunst zurück ins Leben gefunden hast – wie gestaltete sich dein Alltag?

Vor meiner Erkrankung arbeitete ich in einem Recyclingunternehmen im Rhein-Main-Gebiet.  Lärm, Staub und Gestank, Hitze oder Kälte sowie Hektik und Stress waren an der Tagesordnung, da in zwei Schichten gearbeitet wurde und ich für zwei Bereiche zuständig war. Natürlich war es sehr abwechslungsreich und die Zeit verging unglaublich schnell aber nach Feierabend war ich so ausgelaugt, dass für die schönen Dinge des Lebens kaum mehr Luft war. Ich habe mich über Arbeit und Leistung identifiziert. Ich musste und wollte immer stark sein. Auch in der damaligen Partnerschaft  bin ich immer wieder über meine Kraft hinausgegangen.

  1. Was hat Dich aus der Bahn geworfen? / Welche Symptome hattest Du?

Ich hatte ja schon angedeutet, dass ich verwitwet bin. Mein Mann ist mit 34 Jahren an Krebs gestorben, wir hatten 8 Wochen Zeit vom Merken der Krankheit bis zum Sterben. Meine Kinder waren klein und wir hatten gerade ein Haus gebaut. Es war eine sehr schwere Zeit für uns alle. In 2014 bekam ich dann die Nachricht, dass mein Sohn erkrankt  ist und ich bin vom schönen Bodensee wieder zurück ins Rhein-Main-Gebiet gezogen. Ich liebe meine Jungs, darum war es für mich die einzig richtige Entscheidung, ihn zu unterstützen. Gott sei Dank geht es ihm heute wieder besser. Ende 2015 war es dann soweit, dass mein Körper streikte und ich mehrfach mit Tatütata ins Krankenhaus musste. Restlos aus der Bahn geworfen hat mich dann der Kommentar meines Partners … Es passt halt nicht mehr, ich möchte dass du dir was Neues suchst … Also habe ich mir eine neue Wohnung gesucht, diese gerade eingerichtet und dann ging nichts mehr.

  1. Was für Diagnosen wurden gestellt?

Mehrere kleine Schlaganfälle wurden diagnostiziert. Blutdruckentgleisungen waren an der Tagesordnung. Und dann kam die Depression.

  1. Wie ging es Dir mit den Diagnosen?

Es war alles wie im Nebel, grau und zäh. Ich wollte für niemanden eine Belastung sein, ich hatte Angst und die selbstgewählte Einsamkeit war unerträglich

  1. Warst du in Reha? Wenn ja, wie lange und wie ging es Dir dort?

Die Reha war fürchterlich. Der erste Satz des Oberarztes lautete: Was wollen Sie denn hier, Sie sind doch austherapiert, haben Sie schonmal über Rente nachgedacht? … Dies war der zweite Oberarzt, der mich auf Rente angesprochen hatte … mich, bekannt als Arbeitstier, Macherin und Vorreiterin … Zu akzeptieren, dass ich wirklich nicht mehr in der Lage bin mehr als drei Stunden täglich berufstätig zu sein war eine große Herausforderung.

Drei Wochen haben wir dann auf die Rente hingearbeitet, dann musste ich zur Chefärztin und die hat alles wieder rückgängig gemacht. Sie meinte, bleiben sie noch 4-6 Wochen zuhause und dann arbeiten Sie wieder. Der Sturz folgte prompt und ich bin direkt nach der Reha in die Tagesklinik zurück. Dort wurde dann 2016 die Rente eingereicht und mit Hilfe des VdK  durch gerichtliche Klage Anfang dieses Jahres auch durchgesetzt. Bis heute habe ich allerdings den schriftlichen Bescheid noch nicht , geschweige denn eine Rentenzahlung erhalten.

  1. Wie hast Du Deinen Alltag erlebt?

Ich habe sooo viele Töpfe trocken gekocht, konnte mich nicht mehr konzentrieren und war orientierungslos, selbst mit Navigationsgerät habe ich mich nicht zurechtgefunden. Ich habe mich geschämt und als Versager gefühlt und somit immer weiter den Rückzug angetreten.

  1. Hattest Du Unterstützung?

Nachdem meine Hausärztin sensibilisiert war schon, sie hat dafür gesorgt, dass ich professionelle Hilfe bekomme und mich in die Fachklinik und später in die Tagesklinik eingewiesen. Mittlerweile habe ich einen wundervollen Partner an meiner Seite, den ich auf dem Campingplatz kennenlernen durfte und auch Speedy, mein Hund, begleitet und unterstützt mich täglich.

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  1. Wie sind Familie / Freunde mit Dir und den dazugehörigen Symptomen umgegangen?

Es ist natürlich immer schwierig für die Menschen um einen herum. Auch heute noch ist Depression ein Tabuthema. Darum kommt auch der Begriff „Burn Out“ besser an und man bekommt mehr Verständnis. Wenn jemand einen Arm oder Bein in Gips hat, sieht man ja, dass er verletzt ist und dass es Zeit zum heilen braucht. Ich sage heute … ich habe eine Diagnose, aber ich bin nicht die Diagnose

(Werbung, unbezahlt, da Markennennung)

Für Angehörige und Freunde habe ich einen guten Buchtipp: „Mit dem schwarzen Hund leben: Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können, ohne sich selbst dabei zu verlieren“

 

(Werbung, unbezahlt, da Markennennung)

Und für Betroffene selbst: „Mein schwarzer Hund: Wie ich meine Depression an die Leine legte“

 

  1. Gab es Menschen, die sich abgewandt haben?

Ja, die gab es

  1. Wie ging es Dir damit?

Anfangs tut es weh, heute bin ich froh darum. Loslassen gibt uns die Chance, dass etwas Neues entstehen kann, dafür bin ich von Herzen dankbar

  1. Welche Stärken hast Du?

Ich bin kreativ, hilfsbereit,  zuverlässig und lösungsorientiert. Meine Freundin Buffy meint:  Ich bin ein Stehaufmännchen

  1. Welcher Moment hat alles verändert?

Anfang 2017 bin ich auf den Campingplatz gefahren um mal nach dem Rechten zu sehen, Rasen zu mähen und alles für den Verkauf vorzubereiten. Der Platzwart meinte, es wäre doch sicherlich gut für meine Gesundheit, nicht zu verkaufen, sondern mein Leben hierher zu verlagern. Ob ich krank zuhause sitze oder hier in der Natur … er hatte ja sooo recht. Hier ist dann auch eine neue Liebe und mein Hund Speedy ins Leben gekommen 😉

  1. Wie bist Du zur Kunst gekommen?

Die Enkaustikmalerei habe ich in der Reha kennengelernt und war von Anfang an fasziniert von den brillianten Farben, dem Leuchten sowie dem durchweg positiven Feedback der Mitpatienten. Es ist als ob meine Seele malt. Auch die Kunsttherapeutin in der Tagesklinik hat mich bestärkt mit den Worten … bleiben Sie der Kunst treu.

So habe ich mir die Utensilien angeschafft und erstmal nur für mich gemalt. Es ist eine wundervolle Möglichkeit ganz im hier und jetzt zu sein, ich vergesse die Welt um mich herum und tauche ein in die Farben. Gerade wenn ich alles grau in grau oder gar schwarz sehe greife ich bewusst zu kräftigen Farben, die entgegengesetzt zu meiner Stimmung wirken und schiebe damit meine Defizite beiseite.

Das tut so gut und hilft sehr – es gibt in meinen Bildern so viel zu entdecken und dieses ganz bei sich und im Frieden zu sein, scheint sich auch die Betrachter zu übertragen.

  1. Was verbindest Du mit Deiner Kunst?

Im Frieden und im Fluss sein. Altes loslassen und Neues gestalten.  Entspannung und Hingabe. Freude schenken und Mut machen.

Am 8.4. 2018 habe ich erstmals meine Bilder auf dem Campingplatz an den Zaun gehängt und es haben sich richtig gute Gespräche ergeben. Heute werde ich schon gefragt, wann hängst du denn die Bilder wieder raus, das ermutigt weiterzugehen. Die Idee „Kunst am Zaun“ war geboren.

Die Homepage http://kunst-am-zaun.de/  auf den Weg zu bringen war der zweite Schritt in die Öffentlichkeit. Ich möchte in Zukunft mit meiner Kunst ermutigen, zum Mitmachen einladen sowie verschiedene soziale Vereine durch Versteigerungen meiner Bilder finanziell unterstützen und erarbeite gerade eine Strategie dazu.

  1. Achtsamkeit im Leben – Welche Gegenstände brauchst Du wirklich zum Leben?

Meinen Campingplatz, er bietet mir den passenden Raum zur Entfaltung und zum Kreativ sein, Farben und Leinwände und immer einen Euro mehr in der Tasche zu haben wie meine Wünsche groß sind … das reicht

  1. Welche drei Dinge zählen für Dich in Deinem Leben?

Glaube, Liebe und Hoffnung

  1. Welche Tipps würdest Du aus eigener Erfahrung Menschen mitgeben, die sich, in einer scheinbar ausweglosen, Situation befinden?

Holt Euch professionelle Hilfe,

Telefonseelsorge anrufen
ehrliche Gespräche mit dem Hausarzt
einen Notfallkoffer basteln mit den wichtigsten Telefonnummern und Ansprechpartnern
– da dürfen auch Sachen rein, die Euch gut tun, z.B. Stifte zum Malen, Duftöl oder ein Antistressball
vernetzt euch mit Mut machenden Menschen

Und so vieles mehr. Mit diesem Interview möchte ich Euch Mut machen, so nach dem Motto:

 

Und ist der Ruf erst ruiniert, so lebt es sich völlig ungeniert – die Wahrheit und das darüber reden machen frei, nehmen den Druck und öffnen viele unerwartete Wege.

12 Antworten zu „Kunst – (M)ein Weg zurück ins Leben”.

  1. Hat dies auf Inge Schumacher rebloggt und kommentierte:
    Immer mehr Menschen trauen sich über ihren Burnout und ihre Depressionen zu sprechen. Diese wunderbar authentische Geschichte möchte ich deswegen hier teilen.

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  2. Super Artikel! Ich finde, dass die persönlichen Geschichten so wichtig sind. Meine habe ich aus diesem Grund zusammen mit einer Mitbloggerin hier veröffentlicht: https://blogphysioenergie.wordpress.com/2018/04/06/depressionen-2-0.
    Ich reblogge diesen Artikel deswegen auch. Danke dafür!

    Viele Grüße
    Inge

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    1. Vielen lieben Dank für deine Worte

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  3. […] Diese authentische Geschichte teile ich hier. Maria hat dieses wunderbare Interview auf ihrem Blog Bedürfnisoerientiertes Familienleben […]

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  4. ein gutes interview. danke fürs teilen. und von der kunstrichtung habe ich noch nie gehört, werde jetzt gleich mal danach schauen.

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    1. Vielen lieben Dank für deine Rückmeldung

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  5. Ein sehr berührendes und bestärkendes Interview. 👍

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    1. Ich danke dir sehr für deine Rückmeldung

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  6. […] in einem sehr emotionalen Artikel erzählt Petra Poth über Depressionen und ihren Weg mit der Kunst – (m)ein Weg zurück ins Leben […]

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  7. […] Kunst – (M)ein Weg zurück ins Leben […]

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