Es ist Freitag, der 2. Mai 2025.
Ein besonderer Freitag.
Denn es ist die 55. Blognacht von Anna, zu der sie einen Impuls mitgebracht hat, der sofort in mir resoniert:
„Wo brichst du gezielt die Regeln?“
Und direkt fallen mir drei Worte ein:
„In meinem Leben!“
Nicht gezielt.
Nicht provokativ!
Zumindest nicht aus meiner Perspektive.
Denn, wenn wir als Menschen, als Gesellschaft, die vorgegebenen Regeln als Standard definieren, dann brechen Frauen mit ADHS, so wie ich, die gesellschaftlichen Regeln nicht bewusst, um zu provozieren oder Regeln zu ignorieren, sondern weil ihr Gehirn anders funktioniert und dieses oft nicht in die starren Normen und Erwartungen der Gesellschaft passt.
Was dazu führt, dass sie im Dauer-Spagat zwischen ihrem authentischen Sein und den gesellschaftlichen Erwartungen in einer Welt leben, die neurotypisches Verhalten belohnt und Abweichung bestraft.
Doch warum ist das so?
Gesellschaftlich wird von Frauen häufig erwartet, dass sie:
- angepasst,
- ruhig,
- organisiert,
- sozial kompetent
- pflegeleicht und
- für andere verfügbar sind,
- sich selbst zurücknehmen
- sich selbst emotional regulieren können.
Doch Frauen mit ADHS sind oft:
- emotional direkt,
- impulsiv,
- leicht ablenkbar,
- kreativ-chaotisch,
- in ihren Reaktionen stark emotional bezogen auf Ungerechtigkeit oder Sinnlosigkeit und
- von einem starken inneren Drang nach Authentizität getrieben.
Wo brechen Frauen mit ADHS gezielt die Regeln?
1. In der direkten Kommunikation
Statt Konflikte zu vermeiden oder Dinge höflich zu umschreiben, sprechen Frauen mit ADHS offen aus, was sie denken und / oder fühlen, auch wenn dieses für ihr Gegenüber unangenehm ist, was als „zu direkt“, „aggressiv“, „unweiblich“ und „emotional instabil“ bewertet wird.
Dieses könnte die Gesellschaft jedoch verändern, in dem sie, besonders, in der zwischenmenschlichen Kommunikation, der Ehrlichkeit einen höheren Stellenwert zukommen lassen würde als der „Nettigkeit“ und so der Fokus, statt auf der Form, mehr auf den Inhalt gelegt werden würde.
2. Reizoffenheit & Ablenkbarkeit
Multitasking, ständiges Umstrukturieren, Schwierigkeiten mit Deadlines und Übergänge bedeuten für das Gehirn einer Frau mit ADHS ständig neue, zu verarbeitende Impulse, welche mit den zu erfüllenden Erwartungen an Struktur, Pünktlichkeit und Effizienz einhergehen und bei nicht Erreichen als „unzuverlässig“, „nicht belastbar“ und „nicht professionell“ beurteilt werden.
Dabei könnten Arbeitsmodelle mit mehr Flexibilität sowie die Sicht auf Ergebnisse statt auf die eigentlichen Prozesse, die Neurodivergenz als eine andere Arbeitsweise, statt als Schwäche, gesehen werden.
3. Emotionale Impulsivität (besonders bei Ungerechtigkeit)
Starke emotionale Reaktionen sind die Antwort auf unfaire Behandlung, Mobbing und Diskriminierung.
Denn, statt „ruhig zu bleiben“, „sich da raus zu halten“, „an die eigene Position zu denken“ oder „neutral zu bleiben“ folgt eine laute, sichtbare, unbequeme Reaktion, selbst wenn es die Frau mit ADHS in Schwierigkeiten bringen könnte und sie dadurch als „zu sensibel“, „Dramaqueen“ oder „übertrieben“ charakterisiert wird.
Denn schließlich soll sie sich ja „beherrschen“, „nicht einmischen“ und „keine Dramatik machen“.
Diese Empathie ist moralisch motiviert. Frauen mit ADHS spüren intuitiv, was fair ist – und können nicht wegsehen. Sie haben eine Art inneren moralischen Kompass, der stark anschlägt.
4. Unangepasster Kleidungsstil oder Ausdruck
Da die Anpassung zu viel Energie kostet oder sich falsch anfühlt, werden Kombinationen, Farben, Statements und das Fallenlassen der eigenen Masken als „kindisch“, „unprofessionell“, „will auffallen“ und „zu viel“ bewertet, sodass sie dadurch den Erwartungen an „gepflegt“, „damenhaft“, „altersgemäß“ und „angemessen“ nicht entsprechen.
Statt Dresscodes, die die Konformität über den Komfort stellen, braucht es sowohl mehr Raum für Individualität und sensorisches Wohlbefinden als auch die Freiheit zur Selbstregulation durch Kleidung & Accessoires. Denn Frauen mit ADHS nutzen auch oft ihre Kleidung zur Reizfilterung oder als Ausdruck ihrer inneren Zustände.
5. Ständiges Zuspätkommen / Terminchaos
Trotz bester Absicht und dem Wissen, dass „Pünktlichkeit ein Zeichen von Respekt ist“ kann es zu regelmäßigen Verspätungen, vergessenen Verabredungen oder dem Durcheinanderbringen vom Datum kommen, was als „unzuverlässig“, „egoistisch“ und „nimmt mich nicht ernst“ beurteilt wird.
Wünschenswert wäre jedoch eine differenzierte Sicht:
Denn Vergesslichkeit bei ADHS ist kein Charakterfehler.
Technische Hilfen, Reminder, Kalenderunterstützung, eine Erinnerungsmail & kein moralischer Zeigefinger wären hilfreicher.
6. Stille oder Rückzug im Gruppensetting
Aufgrund von Reizüberflutung oder innerlicher Erschöpfung können Frauen mit ADHS in einer geselligen Runde mit plötzlicher Stille, Rückzug oder vorzeitigem Verlassen, ohne Angabe von Gründen reagieren, was von Anderen als „unhöflich“, „komisch“ und „sozial schwierig“ bewertet wird.
Denn diese Verhaltensweisen stehen gesellschaftliche Regeln wie „man bleibt, solange es höflich ist“ und / oder „Smalltalk ist sozialer Kitt“ gegenüber.
Frauen mit ADHS haben jedoch andere soziale Kapazitäten und finden Smalltalk anstrengend, leer oder sinnlos.
Sie mögen lieber echte, tiefe Gespräche über Gefühle, Ideen, Gerechtigkeit, persönliche Themen oder spannende Interessen.
7. Emotionale Reaktion in neutraler Situation
Da es in der Gesellschaft Regeln gibt, wie „man“ sich zu fühlen und dieses zu zeigen hat und Frauen mit ADHS emotional intensiver, schneller, stärker und manchmal unkontrollierter fühlen, fallen sie oft aus dem Rahmen und haben so schon oft in ihrer Kindheit gehört, dass sie „zu dramatisch“, „zu laut“, „zu empfindlich“ seien, welches sie verinnerlicht haben.
Stattdessen bräuchten Frauen mit ADHS Akzeptanz, dass emotionale Regulation bei ADHS anders funktioniert, Gefühle nicht falsch sind, nur weil sie nicht ins Bild passen und Regulierung statt Unterdrückung sowie einen Raum für Emotionen, ohne sie zu bewerten.
8. Sie fühlen so stark mit, dass es sie selbst überfordert
Wenn ein anderer Mensch leidet, unabhängig, ob es ein geliebter Mensch, ein Bekannter, ein Arbeitskollege oder ein für sie fremder Mensch ist, empfinden sie eine radikale Empathie und spüren so den Schmerz so intensiv als wäre es ihr eigener, sodass sie selbst innerlich zusammenbrechen, weinen oder nicht mehr funktionieren.
Doch die Gesellschaft erwartet, dass „man ruhig und sachlich hilft“, da eine „professionelle Distanz wichtig ist“ und nicht, dass „man zu emotional“, „instabil“ und „nicht belastbar“ ist.
Die radikale Empathie ist jedoch eine Fähigkeit und keine Schwäche.
Die mit Unterstützung sogar heilsam sein kann.
Sowohl für andere als auch für sich selbst.






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