„ADHS ist doch eigentlich eine Superkraft.“
„Menschen mit ADHS sind einfach anders begabt.“
„Du bist halt kreativ – chaotisch: das ist doch dein Talent!“

Solche Sätze begegnen neurodivergenten Menschen, vor allem Frauen mit ADHS, immer häufiger.
Oft gut gemeint, motiviert durch die Idee, das Stigma zu entschärfen.

Und ja:
es gibt starke Seiten an ADHS:
Kreativität.
Empathie.
Ideenvielfalt.
Energie.

Doch das Problem beginnt dort, wo diese Eigenschaften zum Ersatz für Verständnis, Strukturhilfen oder Therapie werden!
Oder gar als Ausgleich für die realen Herausforderungen herhalten müssen!

In diesem Artikel geht es um Euphemismen, Superpower – Rhetorik und das „anders begabt“ – Label!
Vor allem aber darum, warum sie zwar verständlich, aber auch gefährlich sein können.

Der Wunsch, ADHS positiv zu rahmen und woher dieser kommt

Jahrzehntelang war ADHS stigmatisiert.

Wer die Diagnose bekam, galt als „verhaltensgestört“, „nicht leistungsfähig“, „disziplinlos“.
Kein Wunder also, dass die Gegenerzählung entstand:
ADHS ist keine Störung, sondern eine Begabung.
Eine Superpower.
Ein evolutionärer Vorteil.

Diese Sichtweise wird durch soziale Medien, Neurodiversitätsbewegungen und positive Selbstdefinitionen gestärkt; was grundsätzlich zu begrüßen ist.

ABER:
Positivismus kann dann problematisch werden, wenn er die Realität verzerrt, emotionalen Druck erzeugt oder Barrieren verschleiert.

Euphemismen wie „anders begabt“ und warum diese oft zu kurz greifen

Die Bezeichnung „anders begabt“ soll eine Umdeutung ermöglichen.
Doch sie hat Grenzen:

Ziel Problem
Aufwertung des Selbstbildes     Verharmlosung tatsächlicher Belastungen
Abkehr vom Defizitmodell     Verlust des Rechts auf Nachteilsausgleich
Empowerment durch Sprache     Überschreibung der individuellen Realität
Aufbrechen von Stigma     Druck, die „Gabe“ beweisen zu müssen

Viele Betroffene empfinden es als frustrierend, wenn ihre Herausforderungen relativiert werden.
Zum Beispiel mit Sätzen wie:

  • „Aber du bist doch so kreativ.“
  • „Dafür kannst du super denken.“
  • „Ich wünschte, ich hätte auch ADHS.
    Dann wäre ich so spontan wie du.“

Solche Aussagen mögen wertschätzend gemeint sein!
Sind jedoch oft projiziert, nicht erlebt.
Und übergehen zusätzlich die unsichtbare Erschöpfung und emotionale Instabilität sowie die chronische Überforderung, die viele
ADHS – Betroffene täglich erleben.

ADHS ist eine neurologische Störung mit Stärken, aber auch Schwächen

ADHS ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung der exekutiven Funktionen, laut WHO und DSM-5.
Das bedeutet:

  • Reize werden schwerer gefiltert
  • Aufmerksamkeit ist nicht willentlich steuerbar
  • Impulse sind schwer zu kontrollieren
  • Organisation, Priorisierung, Zeitgefühl sind beeinträchtigt

Das hat reale Auswirkungen:

  • Jobverlust wegen „Unzuverlässigkeit“
  • Beziehungsprobleme durch emotionale Überreizung
  • Erschöpfung durch Masking und Überkompensation
  • Selbstwertprobleme durch ständige Überforderung

Gleichzeitig gibt es, oft situativ und individuell, Stärken wie:

  • Hyperfokus (bei Interesse)
  • kreative Lösungsansätze
  • hohe Empathie und Sensibilität
  • intuitives Denken,
  • starke Improvisation

Aber: Diese Stärken sind kein automatischer Ausgleich für die Schwächen!

ADHS ist kein Geschenk mit Bonusfunktion!
Es ist eine Herausforderung, mit individuellen Ressourcen!

Warum „Superpower“ – Narrative neurodivergente Menschen auch unter Druck setzen

Die Erzählung „ADHS ist eine Gabe“ kann für viele toxisch werden:

  • Was, wenn ich meine „Superkraft“ heute nicht spüre?
  • Bin ich dann weniger wert?
  • Muss ich beweisen, dass ich kreativ bin, um meine Diagnose zu legitimieren?
  • Darf ich erschöpft sein, wenn ADHS doch eigentlich ein Geschenk sein soll?

Viele Frauen mit ADHS tragen bereits ein hohes Maß an Selbstkritik, Scham und Anpassungsdruck.
Die Superpower – Erzählung kann diesen Druck verstärken, statt ihn zu entlasten.

ADHS ist beides: Herausforderung und Potenzial

Statt in „Störung“ vs. „Superkraft“ zu denken, hilft ein integrierender Blick:

✅ Ja – ADHS kann mit besonderen Fähigkeiten einhergehen.
✅ Ja – ADHS braucht manchmal Medikamente, Therapie, Strukturhilfen.
✅ Ja – Betroffene dürfen ihre Stärken feiern, ohne sie beweisen zu müssen.
✅ Und ja – man darf ADHS auch einfach anstrengend finden, ohne sich dafür zu schämen.

Wir müssen Menschen nicht künstlich aufwerten, um sie anzuerkennen.
Wir müssen ihnen nur glauben, wenn sie sagen, was sie brauchen.

Wertschätzung ja, Verklärung nein

Die Absicht, ADHS positiv zu framen, ist verständlich und wichtig.
Aber Sprache darf nicht zur Maske werden.
Euphemismen wie „anders begabt“ oder „Superpower“ sollten nicht verdecken, wie viel Kraft es oft kostet, im Alltag überhaupt zu funktionieren.

Menschen mit ADHS brauchen keine Romantisierung!
Sie brauchen echten Respekt, differenzierte Wahrnehmung, passende Unterstützung!
Und die Erlaubnis, einfach sie selbst zu sein!
Mit allem, was dazugehört!


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