„Musst du das wirklich nehmen?“
„Ist das nicht sowas wie Ritalin für Erwachsene?“
„Das macht doch süchtig.“
„Aber du wirkst doch ganz normal!?
Brauchst du das denn wirklich?“

Diese Fragen und Aussagen bekommen Menschen mit ADHS regelmäßig zu hören, wenn sie offenlegen, dass sie Medikamente nehmen.
Und besonders Erwachsene, vor allem Frauen und Mütter, stoßen auf Unverständnis, sobald das Thema medikamentöse Behandlung bei ADHS aufkommt.

Zwischen Medienhype, Mythen und moralisch aufgeladenen Debatten bleibt dabei oft das Wesentliche auf der Strecke:
Was leisten ADHS – Medikamente wirklich?
Für wen sind sie geeignet?
Und was bedeutet es, sie zu nehmen: emotional wie gesellschaftlich?

Dieser Artikel bietet einen differenzierten Einblick in das Thema, räumt mit Halbwissen auf und erklärt, warum Medikamente für viele Betroffene nicht Manipulation, sondern Erleichterung bedeuten.

Was passiert bei ADHS im Gehirn?

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurobiologische Störung!
Und keine Willensschwäche!

Zentrale Ursachen sind:

  • eine andere Dopamin- und Noradrenalin-Regulation
  • Probleme in der exekutiven Funktion des Gehirns (z. B. Planen, Innehalten, Priorisieren, Impulskontrolle)

Damit Betroffene überhaupt eine faire Ausgangslage für Alltag, Arbeit und Beziehung haben, zielen ADHS – Medikamente darauf ab, genau diese neuronalen Signalwege zu stabilisieren.

Welche Medikamente werden bei ADHS eingesetzt und wie wirken diese?

Die gängigen Wirkstoffgruppen sind:

1. Stimulanzien

Beispiele: Methylphenidat (Ritalin®, Medikinet®), Amphetaminpräparate (Elvanse®, Attentin®)

  • Wirkung: Erhöhen gezielt den Dopamin- und Noradrenalinspiegel im präfrontalen Kortex
  • Effekt: Verbesserung der Konzentration, Impulskontrolle, innere Ruhe
  • Wirkeintritt: meist innerhalb von 30 – 60 Minuten
  • Wirkdauer: je nach Präparat 4 – 13 Stunden

2. Nicht – Stimulanzien

Beispiel: Atomoxetin (Strattera®)

  • Wirkung: selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
  • Effekt: wirkt langsamer, aber gleichmäßiger; vor allem bei emotionaler Dysregulation hilfreich
  • Wirkeintritt: nach 2 – 6 Wochen kontinuierlicher Einnahme

Warum nehmen nicht alle Betroffenen Medikamente?

Die medikamentöse Therapie ist eine Option, jedoch kein Muss.
Sie hängt ab von:

  • dem individuellen Schweregrad der Symptome
  • der individuellen Verträglichkeit
  • der persönlichen Präferenzen
  • der medizinischen Einschätzung.

Nicht jeder Mensch mit ADHS profitiert von Medikamenten.
Und nicht jeder möchte sie nehmen.
Dieses kann verschiedenen Gründe haben, zum Beispiel:

Aber: wer sie nimmt, tut das meist nicht leichtfertig!

Was können Medikamente und was nicht?

ADHS – Medikamente:
✅ schaffen eine bessere neuronale Basis
✅ reduzieren Symptome wie Impulsivität, Ablenkbarkeit, Reizoffenheit
✅ helfen, Emotionen besser zu regulieren
✅ verbessern häufig den Zugang zu Alltag, Beziehungen und Beruf

Aber sie:
❌ heilen ADHS nicht
❌ ersetzen keine Psychoedukation, Therapie oder Selbstmanagement
❌ lösen keine Kindheitstraumata
❌ machen niemanden zum „funktionierenden Roboter“ (ein häufiges Vorurteil)

Sie sind ein Werkzeug!
Jedoch kein Wundermittel.
Und wie bei jeder medikamentösen Behandlung müssen Wirkung und Nebenwirkung / en individuell abgewogen werden.

Warum sind Vorurteile über ADHS – Medikamente problematisch?

Vorurteile wie „das ist doch wie Speed“ oder „das ist Doping“ sind nicht nur fachlich falsch, sondern auch sozial verletzend.

Denn sie:

  • entwerten die Erfahrung Betroffener
  • erschweren Diagnosen und Behandlungen
  • verstärken Scham und Verstecken
  • führen zu unnötigem Leid, weil Menschen sich Hilfe nicht erlauben.

Stimulanzien bei ADHS wirken paradox

Während sie bei gesunden Menschen Euphorie und Unruhe erzeugen,
wirken sie bei ADHS regulierend und stabilisierend.
Sie gleichen ein Ungleichgewicht aus, erzeugen jedoch kein Hoch.

Medikamente bei Frauen mit ADHS sind ein besonderes Kapitel

Frauen mit ADHS erhalten oft keine oder erst spät im Leben eine Diagnose.
Und somit auch den Zugang zu Medikamenten.

Das Problem dabei ist jedoch, dass:

  • viele bereits Traumafolgestörungen entwickelt haben
  • sie sozial und emotional stark konditioniert auf „funktionieren“ sind
  • sowohl ihr Zyklus als auch ihre Hormone sowie gesellschaftliche Rollenbilder die Wirkung und das Selbstbild unter Medikation beeinflusst

Für viele ist die erste Erfahrung mit einem Medikament:

„So fühlt sich Normalität an!
Mein Kopf ist endlich still.“

Für andere:

„Ich erkenne mich nicht wieder und das verunsichert mich.“

Beides darf sein.
Und beides braucht Raum, um professionell begleitet zu werden.

Medikamente sind kein „letzter Ausweg“, sondern eine legitime Unterstützung

Die medikamentöse Behandlung bei ADHS ist weder Allheilmittel noch Katastrophe.
Sie ist ein medizinisches Angebot, das vielen Menschen hilft, ihren Alltag überhaupt gestalten zu können:
sei es im Job, in der Familie, in der Selbstfürsorge.

Wer Medikamente nimmt, ist nicht „chemisch optimiert“.
Sondern vielleicht zum ersten Mal in der Lage, sich selbst zu spüren, ohne Reizchaos.

Was können neurotypische Menschen tun?

  • frag nach Erfahrungen, statt Meinungen zu äußern
  • vermeide pauschale Aussagen über Medikamente, die du nicht selbst kennst
  • erkenne an:
    manche Menschen brauchen Medikamente.
    Und das ist weder Schwäche noch ein Shortcut

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Eine Antwort zu „ADHS und Medikamente: zwischen Vorurteilen, Fakten und echter Entlastung”.

  1. […] kochen bringen, mit Teebeutel in meinen Thermobecher füllen, mich anziehen, Bett machen und meine Tabletten nehmen, bevor es raus in die Dunkelheit ging, welche selbst bei Ankunft am Uniklinikum noch […]

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